Binnenfähre mit LNG-Gasantrieb – eine saubere Verbindung
Die europaweit erste Binnenfähre mit reinem Gasantrieb geht am Bodensee in den Linienbetrieb, das Schiff hat HEROSE-Ventile an Bord
Die Fährverbindung Konstanz – Meersburg besteht seit 1928. Von Anfang an ist sie eine Erfolgsgeschichte. Jetzt stellen die Stadtwerke Konstanz mit der „Richmond“ eine neue Fähre mit LNG-Gasantrieb in Dienst.
Der Himmel über dem Bodensee strahlt in hellstem Blau, das Wasser glitzert in der Sonne, und wenn die neue Fähre Richtung Meersburg ablegt, erscheint nicht die kleinste Rußwolke über dem Schiff. Die neue Bodenseefähre besitzt zwei schnelllaufende MTU-Gasmotoren. Die Motoren laufen ausschließlich mit LNG (Liquefied Natural Gas), sie stoßen keinen Ruß, keine Schwefeloxide, deutlich weniger Stickoxide und weniger Treibhausgase aus. Perspektivisch kann das neue Schiff auch mit Bio-LNG aus erneuerbaren Energien betrieben werden, dann fährt es weitgehend klimaneutral.
Jede Seequerung eine 15-Minuten-Kreuzfahrt
Gerade hat eine Fähre abgelegt, da kommt schon eine weitere an – gleichzeitig strömen Fußgänger und Fahrzeuge vom Schiff und die nächsten Passagiere warten schon. Für Berufspendler, Ausflügler und Touristen sind sechs Fährschiffe im Einsatz, und zwar rund um die Uhr, an 365 Tagen im Jahr. Die Abkürzung über den See erspart 56 Kilometer auf der Landstraße zwischen Konstanz und Meersburg – so werden pro Jahr viele Millionen Fahrzeugkilometer und Tausende Tonnen Emissionen vermieden. Jede Seequerung ist anders – das Wetter und die Jahreszeiten machen die Schifffahrt zum Erlebnis und zur Verschnaufpause. Rund 140 Mitarbeitende sorgen für den reibungslosen Ablauf des Fährbetriebs. Anfang des Jahres wurde das Personal auf den neuen Energieträger und die Gasanlage geschult.
Erst Dampf. Dann Diesel. Jetzt Gasantrieb!
Rein äußerlich gleicht die Richmond der 2010 in Dienst gestellten Bodenseefähre „Lodi“: Über 80 Meter lang und mit einer Tragfähigkeit von 400 Tonnen – das erlaubt, rund 700 Fahrgäste und bis zu 64 Pkw zu transportieren. Auffällig am neuen Schiff ist der acht Meter hohe Ventilationsmast, der Teil des Sicherheitssystems der Gasanlage ist. Neu ist die Tatsache, dass die zwei 8-Zylinder-MTU-Maschinen, die jeweils 746 Kilowatt leisten, reine Gasmotoren sind. Sie werden mit verflüssigtem Erdgas anstelle von Dieselkraftstoff angetrieben. Entwickelt und gefertigt wurden die Herzstücke des Gasantriebs in Friedrichshafen von Rolls-Royce Power Systems unter der Marke MTU – also in der Region und in direkter Nachbarschaft, keine 20 Kilometer von Meersburg entfernt.0
Wir freuen uns sehr, die MTU-Gasmotoren unseres langjährigen Partners Rolls-Royce Power Systems in unserem neuen Flottenmitglied einzusetzen.
Dr. Norbert Reuter, Geschäftsführer Stadtwerke Konstanz
Ein Propeller, der auch steuern kann
Eine weitere Besonderheit beim Gasantrieb der Fähre ist der Propeller: Zum Einsatz kommt kein klassischer, sondern ein Voith-Schneider-Propeller. Er funktioniert so: Auf einer kreisförmigen Scheibe am Schiffsboden sind senkrecht bewegliche und steuerbare Flügelblätter angebracht. Die Verstellung der Flügelblätter ermöglicht eine stufenlose Variation von Schub und Richtung. Das herkömmliche Schiffsruder kann also entfallen. Bei Schiffen, die viel manövrieren müssen, spielt der Voith-Schneider-Propeller seine Vorteile aus, wie z. B. bei einer Fähre, die jeden Tag viele Hafenmanöver absolviert.
560 Tonnen Stahl von Hamburg an den Bodensee
Begonnen wurde der Bau des neuen Fährschiffs auf einer Werft in Hamburg. Die hier vorgefertigten 17 Sektionen des Schiffs mit Abmessungen von 13,5 mal 4,5 Metern wurden per Lkw-Schwertransport an den Bodensee gebracht. Jede Sektion war über 30 Tonnen schwer, insgesamt wurden mehr als 560 Tonnen Stahl bewegt. Die Rumpfmontage und der Innenausbau erfolgten dann im österreichischen Fußach am Bodensee. Für den abschließenden Endausbau wurde das Schiff in den Heimathafen geschleppt. Ende 2022 fand die sogenannte Hochzeit statt, so bezeichnet man im Schiffbau den Einbau des Motors.
Die Gasanlage – sicher und sauber
Natürlich steht bei der Gasanlage die Sicherheit im Vordergrund. Das LNG besteht zu 98 Prozent aus Methan, ist farblos und ungiftig. Man erhält LNG, indem man Erdgas auf –163 °C herunterkühlt. Das verflüssigte Gas wird einmal pro Woche per Tank-Lkw zum Hafen geliefert und direkt im Vorratstank des Schiffes gebunkert. Die LNG-Tanks der „Richmond“ befinden sich in einem Raum, der durch eine gasdichte Druckschleuse gesichert und damit quasi vom restlichen Schiff abgetrennt ist.
Perspektivisch soll die Richmond mit Bio-LNG betankt werden, dann fährt sie weitgehend treibhausgasneutral.
Christopher Pape, Pressesprecher Stadtwerke Konstanz
Alle Gasleitungen sind doppelwandig ausgeführt und mit integrierten Gasschnüfflern versehen. Der komplette Gasstrang und alles, was mit LNG zu tun hat, wurde nach dem IGF-Code ausgeführt, dem Standard der International Maritime Organization (IMO). Aus dem Tank fließt das LNG in die Gas Processing Unit (GPU), wo es wieder in den gasförmigen Zustand gebracht wird. Danach strömt das Gas in den Motor, der den Voith-Schneider-Propeller und den Wellengenerator antreibt. Der Maschinenraum und alle weiteren mit der Gasanlage in Verbindung stehenden Räume besitzen eine Zwangsbelüftung. Im Maschinenraum erfolgt ein dreißigfacher Luftwechsel pro Stunde – also alle zwei Minuten. Sollte in der Anlage ein Überdruck entstehen, wird das Gas über den acht Meter hohen Mast des Schiffes sicher weggeführt.
Das Gas-System
Die Gas Processing Unit (GPU) ist das Herzstück der Gasversorgungsanlage zwischen dem LNG-Tank und der Pressure Build-up Unit (PBU) – der Gasaufbereitung. Im Tank befindet sich flüssiges LNG bei minus –163 °C. In der GPU wird das LNG wieder in den gasförmigen Zustand überführt. In der PBU wird das Gas dann auf den Druck gebracht, den der Motor für die Zuführung benötigt. Die neue Fähre ist eines der ersten Binnenfahrgastschiffe Europas, das von schnelllaufenden reinen Gasmotoren angetrieben wird. Der MTU-Gasmotor unterschreitet die Grenzwerte aktueller Emissionsrichtlinien (IMO III) bereits ohne Abgasnachbehandlung deutlich.
Besser für die Umwelt
Der Einsatz von LNG für den Gasantrieb ist umweltfreundlicher als gewöhnlicher Schiffsdiesel. Im Vergleich zum Dieselmotor stößt der Gasmotor keine Rußpartikel und keine Schwefeldioxide aus, 90 Prozent weniger Stickoxide und 10 Prozent weniger CO2. Die Stadtwerke Konstanz sind am Einsatz von Biogas aus regenerativen Quellen interessiert. Eine Zusammenarbeit mit regionalen Anbietern wird derzeit geprüft. Die Gasanlage der Fähre kann auch Bio-LNG verarbeiten – die Fähre wäre dann weitgehend treibhausgasneutral angetrieben.
Die LNG-Fähre „Richmond“ in Zahlen
Investition: 24,7 Mio. Euro
Länge: 82,5 Meter
Breite: 13,4 Meter
Gewicht: ca. 840 Tonnen
Fahrgäste: 700 Personen
Fahrzeuge: 64 Pkw
Tragfähigkeit: 400 Tonnen
Motoren: zwei 8-Zylinder-Gasmotoren
Leistung pro Motor: 746 Kilowatt
Die Stadtwerke Konstanz GmbH ist eine Gesellschaft im Eigentum der Stadt Konstanz. Sie zählt zu den größten Energieversorgungs- und Verkehrsunternehmen am Bodensee. Ihr Kerngeschäft erstreckt sich neben der Energie- und Wasserversorgung auf die Beförderung von Personen im Stadtbusverkehr und auf die Fährverbindung Konstanz – Meersburg. Schon länger investieren die Stadtwerke Konstanz konsequent in Umweltschutzmaßnahmen und kraftstoffsparende sowie emissionsarme Motoren.
Fotos: Stadtwerke Konstanz, Achim Mende